Ein "vertikales" Museum für
Kinematographie
Ein Museum für Kinematographie in der Mole
Antonelliana – ein Museum, in dem dargestellt werden soll, wie Filme
entstehen, mit welcher Technologie sie aufgenommen, zusammengeschnitten
und projiziert werden, welches die Meilensteine in der Geschichte der
sogenannte siebten Kunst waren, und das in einem Gebäude, das auf
einer relativ kleinen Grundfläche in die luftige Höhe von
167,5 m emporschießt und zu 50% aus einer enormen, 50 m hohen
Kuppelhalle besteht. Wie soll das möglich sein?
Und doch ist es dem Schweizer Architekten François Confino
gelungen, diese Herausforderung auf geniale Weise zu lösen und den
Museumsbetrieb für eine Kunstform, deren räumliche Dimension
ja eigentlich in der horizontalen Distanz zwischen Projektor und
Leinwand besteht,
in die Vertikale zu verlegen, womit die Mole Antonelliana sich heute
das höchste Museum der Welt nennen darf.
Baugeschichte der Mole Antonelliana
Dabei ist die Entstehungsgeschichte des einst als
Synagoge begonnenen Gebäudes so kurios wie das Museum selbst. Den
Bauauftrag erhielt Alessandro Antonelli, von dem es dann später
auch seinen Namen erhielt und der noch für weitere
architektonische Kuriositäten in Turin und Umgebung bekannt ist,
1862 von der israelitischen Gemeinde Turins. Die jüdischen
Mitbürger der Stadt waren gerade einige Jahrzehnte zuvor mit dem
Albertinischen Statut aus dem engen Ghetto entlassen worden und
beabsichtigten nun, in der neuen italienischen Hauptstadt ein
repräsentatives Gotteshaus errichten zu lassen. Dementsprechend
großzügig war das Bauvorhaben ausgelegt, ohne aber
übermäßig in die Höhe gehen zu wollen, denn die
hochgestellte Kuppel und die turmartige Spitze (Fiale) obendrauf sind
erst das Ergebnis der wechselhaften Baugeschichte, die über ein
Vietel Jahrhundert dauerte.
Einige Zeit nach Baubeginn kamen nämlich bei den Statikern der
städtischen Bauaufsichtsbehörde Zweifel an der
Stabilität der ursprünglich flach geplanten
Kuppelkonstruktion auf, woraufhin die schon ziemlich weit
fortgeschrittenen Bauarbeiten unterbrochen wurden. Es folgten
anhaltende Polemiken, revidierte Entwürfe, Wiederaufnahme der
Bauarbeiten, erneute Baustopps und so fort. Schließlich verlor
die israelitische Gemeinde das Interesse am Bauvorhaben und ließ
sich an anderer Stelle eine kleiner dimensionierte Synagoge errichten,
auch weil Turin zwischenzeitlich seinen Hauptstadttitel abgeben musste.
1878 legte Antonelli, der sich inzwischen durch andere Projekte einen
Namen gemacht hatte, einen neuen Entwurf für eine nun
hochgestellte grandiose Kuppel vor und die Arbeiten konnten fortgesetzt
werden, nachdem die Stadt das Objekt übernommen und die
Finanzierung sicher gestellt hatte. Die enorme Fiale auf dem kleinen
„Tempel“ auf der Kuppelspitze ist dann schließlich - so
erzählt man - noch auf Zureden einiger Studenten Antonellis
entstanden, der es seinen Schülern und Widersachern auf seinen
alten Tagen noch mal richtig zeigen wollte.
Als die Turiner „Mole“ – welchen Namen hätte man ihr sonst geben
sollen – 1889 endlich und etwa zeitgleich mit dem Pariser
Eifelturm fertig wurde, hatte Turin zwar ein neues Wahrzeichen und den
höchsten Backsteinbau der Welt, aber auch ein ziemlich seltsames
Gebäude, mit dem die Stadt nichts Rechtes anzufangen wusste. Lange
Zeit war dann hier das Museum für das italiensche Risorgimento
untergebracht, aber durch das ungünstige Verhältnis von
Nutzfläche und Kuppelhöhe war auch diese Lösung
irgendwann unbefriedigend. Außerdem konnten auch die Zweifel an
der Gebäudestatik nie nachhaltig ausgeräumt werden, weswegen
man ihr dann in den 30er Jahren im Inneren ein Stahlbetonkorsett
anlegte, was wiederum die Ästhetik im Kuppelinnern ruinierte.
Tatsache ist aber auch, dass ein heftiger Wirbelsturm im Sommer 1953
die Turmspitze herunterwarf und sie fein säuberlich neben die Mole
setzte, wobei aber glücklicherweise niemand zu Schaden kam. Sie
wurde daraufhin als Stahlkonstruktion wieder aufgebaut.
Das Filmmuseum in der Mole
1945 bekam die Historikerin Anna Maria Prolo
für ihre während des Krieges begonnene Sammlung von alten
Filmen, Standfotos, Plakaten, Kulissen und anderen Kimären des
Kinos einige Nebenräume zur Verfügung gestellt, die aber bald
auch wieder zu eng wurden. Wechselnde Nutzung, Wanderausstellungen,
lange Perioden, in denen das Gebäude leer stand oder umgebaut
wurde, bis man sich in den 90er Jahren endlich entschloss, hier das
inzwischen zur Stiftung gewordene Museo Nazionale del Cinema
unterzubringen.
Das setzte allerdings eine Radikalkur voraus.
Diese Aufgabe hat Francios Confino meisterhaft gelöst. Die Kuppel
wurde statisch so gesichert, dass zumindest aus ihrem Innern das
verunstaltende Stahlbetongerippe wieder herausgerissen werden und sie
wieder in ihrem alten Glanz erscheinen konnte. Um
Ausstellungsfläche zu gewinnen, wurde eine frei schwebende
Spiralrampe eingebaut, die nicht nur die atemberaubende
Größe der Kuppelhalle erlebbar macht, sondern das
Gebäude auch funktional weiter erschließt. Seit
Eröffnung des Museums im Juli 2000 stehen auf
fünf Ebenen 3.200 Quadratmeter Ausstellungsfläche zur
Verfügung.
Rundgang durch das Museum
Nachdem man vom Untergeschoss aus, wo sich der
Zugang, der Museumsshop und die CIAK-Bar befinden, sowie auch der
gläserne Aufzug hält, der die Besucher nur an
Führungsseilen hängend durch die Kuppelhalle schwebend auf
die Aussichtsplattform bringt, in die erste Zwischenetage gelang ist,
beginnt eine didaktisierte Entdeckungsreise durch die Vor- und
Frühgeschichte des Kinos: den Camera-obscura-Effekt kann man
selbst ausprobieren, man kann Schattentheater spielen, optische
Spieleffekte entdecken, in Guckkästen und Stereoskope wundersame
Dinge sehen und schließlich zuschauen, wie mit der Laterna
Magica, sowie der Fotografie und Cronofotografie die Grundlagen der
Kinotographie gelegt wurden und die Bilder schließlich laufen
lernten. Fehlen darf natürlich auch nicht mitzuerleben, welchen
Eindruck die ersten Filmvorführungen der Brüder
Lumière auf ihre Zeitgenossen gemacht haben müssen.
Auf einer weiteren Ebene wird Einblick in die Technologien, Apparaturen
und Techniken der Filmproduktion und -vorführung gegeben: Den
Spezialeffekten, der Funktionsweise der Filmkamera, dem Aufnahmeset,
der Kameraführung, der Tonaufnahme und der Beleuchtung, den
Aufgaben von Produzent, Regisseur und Schauspielern, aber auch dem
Drehbuch, dem Storyboard und den Kostümen und Studioaufbauten
werden eigene Ausstellungsstationen gewidmet.
Schließlich gelangt man in die „Aula del Tempio“, d.h. in jenen
Gebäudebereich unter der großen Kuppel, der in der
ursprünglich geplanten Synagoge Gebetssaal hätte werden
sollen, heute aber als wahrer Tempel der siebten Kunst bezeichnet
werden kann. Über allem thront der riesige Götze Moloch aus
dem Film „Cabiria“, der 1914 hier in Turin gedreht wurde, als die
italienische Filmproduktion hauptsächlich noch in der Stadt
ansässig war.
Rund um die große Tempelhalle unter der enormen Kuppel befinden
sich zehn „Kappellen“, in denen sich das Kino in typischen Szenen
selbst
zelebriert und seine Genres darstellt. Die Kapellen tragen die Namen:
Trickfilm, absurder Film, Spiegelungen, Original und Reproduktion,
experimenteller Film, Liebe und Tod, Explosionen, Kolossalfilm,
Cabiria, und eine letzte Kapelle ist der Stadt Turin als Drehort,
Handlungsort und ehemaliger Standort wichtiger Filmstudios gewidmet.
Auf der Spiralrampe sind gewöhnlich Plakate oder andere
Materialien aus der Sammlung Prolo, oder andere Wechselausstellungen zu
sehen, während auf den beiden Leinwänden abwechselnd
charakteristische Ausschnitte aus einer Unzahl von alten und neueren
Filmklassikern zu sehen sind, sowie zumeist historischer Filmstreifen,
die sich mit Italien und Turin als Filmsujet beschäftigen.
Links:
Museo
Nazionale
del Cinema (it.)
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Film- und Kinomuseum in der Mole Antonelliana. Im Vordergrund rechts
das Kino Massimo mit den drei Vorführsälen des Museums.
Innenansicht der 50 m hohen Kuppelhalle mit dem gläsernen Lift.
"Als die Bilder laufen lernten" Das Museum gibt einen Einblick in die
technologische Entwicklung des Kinos.
"Liegestühle" für die Filmvorführungen in der
großen Kuppelhalle.
Die verschiedenen Filmgeneres sind in thematischen Kapellen rund um den
zentralen Kuppelsaal repräsentiert. Hier das
"Séparée"
für das Sujet "Liebe und Tod".
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